Der deutsche Alien im Asia-Restaurant

von | Jun 29, 2023 | Reportagen

In wenigen Worten

“Die machen grade neu auf und brauchen definitiv Personal – könntest du kurzfristig einspringen?“ – Nach diesem Anruf war schnell alles fix: Die nächsten Wochen kellnerte ich in einem frisch eröffneten vietnamesischen Restaurant.
Und, noch spannender, ich lebte ab April dieses Jahres auch mit meinen Kollegen zusammen.
Ich kann euch an dieser Stelle schon zwei Dinge verraten: Selten habe ich so gesund und bewusst gegessen, wie in meiner Zeit bei “HomeKitchen”, und selten habe ich so einen Kulturschock erlebt.
Ich durfte leiden, aber auch viel lernen – und zwar nicht nur das Tellertragen.
Über unperfekt perfekte vietnamesische Kultur nahe München, enormes Umwelt-Bewusstsein und wie man das Thema Lebensmittel-Bestellungen NICHT angehen sollte.

Kleine Mahlzeiten, großer Perfektionsmus – Sushi-Produktion als Live-Entertainment

“Nyguyen ist in der Ausbildung zum Sushi-Master, und das seit 5 Jahren. Nein, Nyguyen ist nicht Japaner und damit Alien Nummer 2 hier. Ja, auch in Vietnam ist die Reisspezialität weit verbreitet. Jeder Gast kann ihm hier beim Arbeiten sogar zuschauen – ganz alleine stehe er an seiner kleinen Sushi-Station. Er ist nicht ansprechbar, bis er die letzte Blumenvase mit Reis auf das Holzbrett angeklebt hat – die Deko muss ja stabil sein. Hier geht es um mehr als nur das Füllen vom Loch im Bauch – Nyguyen liefert ein Erlebnis für Augen und Gaumen. Und mit dieser Art ist er hier nicht alleine – die ganze Küche scheint so zu ticken. Bevor das Essen an den Gast geht, stimmt jede Kleinigkeit, von der letzten Deko-Röstzwiebel bis hin zum verwendeten Löffel. Jedes Glas wird zweimal poliert, mit peinlicher Genauigkeit. So werden die Prioritäten hier gesetzt. Egal wie viel los ist und egal ob die Person, die gerade auf ihr Helles wartet, vielleicht sogar gar nicht Typ “Ich brauche unbedingt eine perfekte Schaumkrone auf meinem Bier“ ist.

Wartende Kunden hin oder her. Stress merkt man den Vietnamesen beim Perfektionieren nicht an. Putzlappen bzw. Küchenmesser in die Hand und Welt aus. Auch beim eigenen Essen werden da keine Abstriche gemacht, wenn gegessen wird, dann langsam und tatsächlich auch leise. Gesund und bewusst eben. “Fast-Food” entlockt den vietnamesischen Teenies kein Strahlen, sondern eher ein Nasenrümpfen.

Eins weiß ich sicher, hätten wir nur asiatische Restaurants, würde sich unsere Essenskultur in Europa durchaus entschleunigen. Gutes will eben Weile haben.

Aber was tue ich dann, wenn meine Mittagspause nun mal nur 30 Minuten lang ist?

Love my Sushi

,,Zu viel Pflastiiiik“  – was passiert, wenn du dein bestelltes Essen nicht abholst

Vielleicht fragst du dich, nachdem ich so ja schon von “Kulturschock“ gesprochen habe, worum sich der erste Konflikt mit meinem Chef drehte?  Um Verpackungen. Die größte Sünde heißt hier Verschwendung. Ich hatte mir mein Feierabend-Sushi bei Nyguyen bestellt und vergessen zu sagen, dass er dieses natürlich auf einem Teller anrichten kann und dass meine geliebten Mango-Frischkäse-Maki nicht in eine Plastikbox müssen. Tja, Schwamm drüber hieß es dann, aber eins wurde mir an dieser Stelle klar: alles, was bezahlt, aber nicht genutzt wird, entspricht persönlichem Herzschmerz. Kunden, die Essen bestellen, es aber nicht abholen, können mit einem wütenden Anruf rechen. Hier ist dann Schluss mit Höflichkeit und Perfektionismus.  Richtig so, richtig und wichtig. Denn gesund, bewusst und vollends mit sich selbst im Reinen eine Mahlzeit zu genießen fällt schwer, wenn sich rechts von der eigenen Metall-Gabel dann der Plastik-Turm an Verpackungen stapelt. Gut, dass Manu, 60, wohnhaft um die Ecke, immer daran denkt, ihre eigene Schüssel für ihren Enten-Salat-2-Go mitzunehmen. Denn wie soll ein neues Restaurant ohne viel Budget seinen Konsum an Plastik-Tüten, Boxen und Co. reduzieren soll, wenn alle Alternativen so viel teurer sind?

Pho Suppe all day/every day – Resteessen deluxe

Pho (Suppe)

Die Pho – Suppe ist DAS Nationalgericht Vietnams schlechthin. Die Antwort auf die Lieblingsfrage der Gäste – “Was ist denn hier jetzt so richtig klassisch Vietnamesisch“ – ist mir also nie schwergefallen.

Definition gefällig? Große Reisbandnudelsuppe:

In feiner, 12-Stunden gekochter Brühe mit Ingwer,

Zimt, Sternanis, Kardamom, Sojasprossen, Thai-Basilikum, Koriander, Limette, Chili und Hoisin-Sauce.

Traditionell wird die Pho mit Rind gegessen – und das wohlgemerkt morgens, mittags und abends. Varianten mit Hühnchen sowie Tofu stehen zwar ebenfalls auf der Karte, ganz perfekt ist die Suppe für die Vietnamesen ohne Rindfleisch aber nicht. Es gibt jedoch den einen Ausnahmezustand, der es erlaubt, die ehrenhafte Rezeptur zu verändern: In der Küche liegen Essensreste, die morgen nicht mehr verwendbar wären.

Brühe aufsetzen – alles, was geht untermischen – Abendessen fertig. Um falschen Eindrücken vorzubeugen: geschmeckt hat das Ergebnis immer. Und der Biomüll bleibt so leer wie möglich. Denn auch die nicht abgeholten Mahlzeiten landen an der eigenen Tafel oder werden verschenkt.

Das gesamte Personal isst nach Dienstschluss gemeinsam – gegen 22:15 Uhr bzw. “sobald halt die letzten Gäste weg sind“. Diese späte Mahlzeit bin ich aus meiner Kindheit nicht gewohnt und auch die Gäste bestellen schon ab 21Uhr nur noch Getränke. Andere Länder, andere Sitten. Oder einfach nur der Lebensrhythmus in der Gastronomie. Gesund und bewusst ist die Uhrzeit vielleicht nicht, dafür aber die Art zu essen:

Mini-Bissen. Laangsam. Kleine Portionen, dafür mehrere. Und stillschweigend. Egal, wie gerne die Vietnamesen sonst äußerst lautstark positive sowie negative Stimmungsausbrüche kundtun — beim Essen wird höchstens zwischen zwei Bissen nach dem Salz für die Suppe gefragt.

Na ja, gut für die Verdauung ist diese Manera allemal. Eine abwechslungsreich und saisonale Ernährung, wie sie vermutlich im Lehrbuch des Ernährungswissenschaftlers steht, hatte ich zusammengefasst also nicht – warum geht’s mir dann aber körperlich echt gut, nach so viel Pho ohne jegliches andre Pipapo?

Der Chef und der ungetrunkene Tee – alles für die Ästhetik

Schrein

Der erste Eindruck zählt. Um meinen lieben Kollegen das klarzumachen, musste ich Ihnen keine Statisten aus meinem Marketing-Studium vorlegen. Wenn Inhaber Dang morgens um 10 Uhr seinen Arbeitstag beginnt, hat er ein festes Ritual:  Direkt neben der Eingangstür befindet sich eine Art Altar aus Holz. Auf dem Boden stehen zwei Keramikfiguren, die vermutlich Gottheiten darstellen sollen, Kerzen und mehrerer Vasen.  Ich konnte jeden Tag beobachten, wie Dang zwei kleine Tassen mit frischem Wasser auffüllt und zur Gedenkstätte bringt. Und schwarzen Kaffee gibt’s obendrauf.  Verziert wird der Altar dann gerne noch mit Blumen sowie frischem Obst – und wenn die Gäste unseren Eingangsbereich dann bewundern, strahlt Dang wie ein Honigkuchenpferd. Was ist hier Glaube und was kalkulierte Darstellung der Kultur ? Ich habe nicht vor, diese Frage ins Vietnamesische zu übersetzen, etwas anderes würde mich jedoch schon interessieren: Wenn der Kaffee und auch das Wasser jeden Abend weggeschüttet wird und das Obst nicht verwendet wird – ist dann Traditionsbewusstsein doch noch ein Mal wichtiger als Umweltbewusstsein?

Kreuz und quer und nie genug – die Stollpersteine Lieferung und Marketing

Klar war ich nie der Chef im Betrieb und habe sicher keinen vollständigen Einblick in jegliche Finanzen und Kalkulationen von HomeKitchen. Aber eins war ich doch: Übersetzer. Und von Zeit zu Zeit auch geschätzter Ratgeber. Dementsprechend hatte ich dann doch zumindest einen Überblick darüber, wo wann wie viel wovon bestellt wurde –  nämlich peu à peu, mal hier / mal da und sehr hektisch bei dringendsten Bedarf.  Die Folge davon? Hohe Spritkosten, temporärer Platzmangel und Haltbarkeitsdaten, die Stress bereiten. Ganz und gar nicht perfekt. Mit viel Erfahrung entwickelte Angebote von den großen Zulieferern der Umgebung werden aber abgelehnt “brauchen nicht, haben schon …‘‘.

Ich kann nur hoffen, dass Dang bald Verträge unterschreibt, die auch gesund und bewusst für seinen Geldbeutel sind.

Abseits der Logistik gibt es noch einen zweiten Themenbereich, denn meine Kollegen eher schlecht als recht abdeckten – und von dem verstehe ich sogar etwas: das Marketing.

“Ja wir wussten ja so lange gar nicht, dass es euch hier gibt”, sagt Gast 1.

“Das muss sich einfach noch ein bisschen herumsprechen, dann läuft das hier an”, sagt Gast 2.

Und ja, Karl hatte recht, es lief an, aber erst, nachdem ich etwas die Werbetrommel gerührt habe. Diesen Schluss hatte Dang nämlich nicht gehört: einzig und allein einen Artikel in der Zeitung des Landeskreises ließ er veröffentlichen. Zugegeben, als dieser Artikel zwei Wochen nach der Eröffnung des Restaurants erschienen tatsächlich für einige Tage ein paar mehr Kunden –  verglichen mit der damaligen Norm. Dennoch will ich mir nicht vorstellen, wie trostlos menschenlos die Eröffnung des Restaurants war. Denn Flyer über das Restaurant und sein Angebot ließen sich in der Stadt nirgends finden. Und Profile für Home Kitchen auf Facebook, Instagram und Tripdadvsior sowie der Google-Auftritt des Unternehmens waren Dang auch herzlich egal. Gut, dass ich das anders gesehen habe. Ich will jetzt nicht zu tief in meine Area der Expertise eintauchen, dementsprechend als Kurzfassung: Die Leute folgten, kommentierten, sowie bewerteten schnell in überraschend hohen Zahlen und probierten dann eben tatsächlich “diesen neuen Asiaten, wo früher mal der Italiener war.“

Danach ist das Spiel simple: Ein Mal angekommen und gut aufgenommen kommt Gewohnheits-Tier Mensch auch wieder, vor allem in ländlicheren Regionen mit limitierter Vielfalt an Restaurants. Denn die Küche stimmt und lädt zum Durchprobieren ein.  Mit steigenden Temperaturen und wachsender Mundpropaganda war unser Biergarten ab Mai dann endlich voll. An dieser Stelle erahne ich wieder ein großes Problem: mehr Kunden = mehr Bedarf an Lebensmitteln → mehr Bestellungen müssen getätigt werden. Und für passenden Lieferanten kann ich nicht einfach ein Werbeplakat ausstellen, oder?

Eine finale Frage und Zukunftsspekulationen – mein Resümee

Leonie im Restaurant

Du fragts dich vielleicht, warum ich eigentlich mit den Vietnamesen zusammen lebte? Wenn ja, entschuldige ich mich, dass du seit Absatz eins auf die Antwort warten musstest. Denn diese ist ganz einfach: aus purem Interesse. Und der Mut wurde belohnt, denn wäre ich in meinen gewohnten vier Wänden geblieben, hätte ich diese spannende?, perfekt gesund/bewusste? Kultur nicht so hautnah erleben dürfen. Und der Blick über den eigenen Tellerrand bringt Erfahrung und Wachstum – das tut er immer.

Denn mich führt mein Weg jetzt weiter, weg von Sushi und Suppe zurück in meinem Heimathafen, den Tourismus. Und ich bin ehrlich gespannt, wie sich meine revolutionierte Einstellung zu Ernährung sowie zu Lebensmittelverschwendung jetzt noch mit überfüllten Hotelbuffets vertragen wird.   

wer hat´s geschrieben?

Lenoie Stoll
Leonie studiert Marketing, aber nur online und Teilzeit, denn sie arbeitet in der Clubhotellerie. Seit Tag 1 ist sie Genießerin, wenn es um Essen geht. Bewusster Umgang mit Lebensmitteln und gesunde sowie abwechslungsreiche Ernährung sind für sie eine Herzensangelegenheit. Und natürlich das Schreiben.

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