In wenigen Worten
Die Landwirtschaft und der Ernährungssektor fliegen in der Klimadiskussion sehr oft unter dem Radar. Erst in letzter Zeit wird diskutiert, dass global rund 32% der von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen auf diesen Bereich entfallen. 26% gehen auf das Konto von Lebensmittelproduktion und -konsum, die verbleibenden 5%punkte werden durch nicht für den Verzehr gedachte Outputs (z.B. Biotreibstoffe) bzw. die Abholzung von Wäldern verursacht.
Mehr als 50% der ernährungsbedingten Treibhausgase durch Tierhaltung
Tierhaltung ist für einen großen Anteil der Emissionen und des Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Die Produktion von Fleisch, Eiern, Fisch und Milch beansprucht rund 83% der landwirtschaftlich genutzten Flächen und verursacht 56 bis 58% der Treibhausgasemissionen – also mehr als die Hälfte des gesamten Sektors. Erstaunlicherweise werden aber nur 37% des Proteins und 18% aller Kalorien durch Produkte aus Tierhaltung zur Verfügung gestellt.
Der hohe Anteil an tierischen Produkten – insbesondere Fleisch – ist nicht nur in der Produktion umwelt- und klimaschädlich, sondern auch im Konsum problematisch. Würde man global den Konsum von Fleisch auf die empfohlenen „Grenzwerte“, die so etwas wie einen Minimalkonsens unter Ernährungsexperten darstellen, reduzieren, dann sinken nicht nur krankheitsbedingte Kosten (Behandlungs- und Pflegekosten, Produktivitätsrückgang), sondern es steigt auch die Lebenserwartung. Allerdings müsste dafür der Fleischkonsum um 56% sinken, der Verzehr von Früchten und Gemüse um 25% steigen und insgesamt um 15% weniger Kalorien aufgenommen werden. Die positiven Effekte auf die Gesundheit und das Gesundheitssystem sind bei Diäten die ganz auf Fleisch verzichten noch höher (3,0% des BIP im Jahr 2050) und am höchsten, wenn man gänzlich auf tierische Produkte verzichtet (3,3% des BIP).
Klimaziele nicht erreichbar mit den gegenwärtigen Ernährungstrends
Der Planet ist weit von diesem Szenario entfernt: Forscher der Universität Oxford zeigen, dass bei Fortschreibung der gegenwärtigen Ernährungstrends, der Treibhausgasausstoß aus diesem Bereich bis 2050 um 51% steigen wird (im Vergleich zur Periode 2005/2007). Auch mit der Einhaltung der durch den Minimalkonsens vorgegebenen „Grenzwerte“ bei der Ernährung ist der angestrebte maximale Temperaturanstieg von 2% nicht machbar. Lediglich eine rein pflanzliche Ernährung rückt dieses Szenario in den Möglichkeitsraum. Bei allen anderen Ernährungsstilen muss in den anderen Bereichen kompensiert werden, damit man die Klimaziele erreichen könnte.
19% des EU-Budgets für Tierhaltung; 8% für Forschung und Innovation
Die negativen Effekte von tierischen Lebensmitteln werden zunehmend wahrgenommen. So war die Empörung beachtlich, als publik wurde, dass die EU rund 60 Mio. Euro für Marketing zur Erhöhung des Fleischkonsums zur Verfügung stellt. Diese Marketingaktion ist vom Volumen her vernachlässigbar, wenn man einen Blick auf die Förderungen, die im Rahmen der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik ausgeschüttet werden, wirft. Greenpeace schätzt, dass €28.5 bis €32.6 Milliarden pro Jahr in die Tierhaltung und -verwertung fließen. Das sind rund 18% – 20% des gesamten(!) EU Budgets. Zum Vergleich: In das europäische Rahmenprogramm für Forschung und Innovation gingen weniger als 8% der Mittel.
Green Deal: Grün oder strukturkonservierend?
Obwohl die Europäische Kommission in ihren Ausführungen zum Green Deal zum Ausdruck bringt, dass die negativen Umweltwirkungen der Landwirtschaft und des Ernährungssektors wahrgenommen werden, glaubt die Kommission, dass durch „…das Inverkehrbringen nachhaltiger und innovativer Futtermittelzusatzstoffe…“ ein ausreichender Beitrag zur Abschwächung der negativen Wirkungen von Tierhaltung auf Klimawandel geleistet wird. Wie hoch der Lösungsbeitrag dieser Maßnahme ist, wird nicht dargestellt. Klar ist, dass damit eine kleine Intervention, mit der die gegenwärtigen Praktiken und Lebensgewohnheiten unverändert fortgesetzt werden können, als Lösung für ein großes Problem präsentiert wird. An den negativen Auswirkungen auf Gesundheit, Landverbrauch und Biodiversität ändert sich dadurch nichts.
Zu wenig Flächen für Renaturierung, Bio-Landwirtschaft und Aufforstung
Damit werden im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik Strukturen gestützt, die es unmöglich machen, die unterschriebenen und über den geplanten Green Deal umzusetzenden Emissionsziele zu erreichen, die die Lebenserwartung der EuropäerInnen senken, die ernährungsbedingte Krankheiten hochhalten und gleichzeitig massiv die Biodiversität gefährden. Eine Fortsetzung der gegenwärtigen Agrarpolitik bedeutet auch, dass aufgrund des übergroßen Landverbrauchs der Massentierhaltung (83% der landwirtschaftlich genutzten Flächen) Land zur Speicherung von CO2, zur Umstellung auf biologischen Landbau und zur Wiederherstellung von Ökosystemen fehlt. Zur Illustration: Durch einen globalen Verzicht auf tierische Produkte würde Agrarland in der Größe Afrikas für diese Nutzungen frei werden.
Kurzum: Klima- und umweltschädliche sowie gesundheitsgefährdende Produkte und Lebensstile werden durch Agrarsubventionen gefördert, anstatt dass die von der Gesellschaft schon jetzt zu tragenden Kosten nach dem Verursacherprinzip auf diese Produkte aufgeschlagen werden. Die Alternative dazu ist eine grundsätzliche Neuorientierung der Agrarpolitik auf europäischer Ebene, die ausschließlich den Ausstieg und nicht die Produktion von tierischen Nahrungsmitteln fördert, die biologische Landwirtschaft und CO2-Speicherung priorisiert und Biodiversität wieder herstellt. Natürlich bleibt auch die Versorgungssicherheit ein Hauptziel. Gleichzeitig muss die Bevölkerung aufgeklärt werden und das Innovationspotential bei pflanzenbasierten Lebensmitteln gehoben werden. Wenn das nicht passiert, essen vielen von uns wortwörtlich die Zukunft von allen – manche verdienen auch noch daran.
Quellen:
Daniel Boffey, EU spending tens of millions of euros a year to promote meat eating, Guardian, 14.2.2020, https://www.theguardian.com/environment/2020/feb/14/eu-spending-tens-of-millions-of-euros-a-year-to-promote-meat-eating
Europäische Kommission, Der Europäische Grüne Deal, Brüssel, den 11.12.2019 COM(2019) 640 final, https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:b828d165-1c22-11ea-8c1f-01aa75ed71a1.0021.02/DOC_1&format=PDF
Europäische Kommission, „Vom Hof auf den Tisch“ – eine Strategie für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem, COM(2020) 381 final, Brüssel, 2020, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?qid=1590404602495&uri=CELEX%3A52020DC0381
Greenpeace, Feeding the Problem: Folgen der Europäischen Agrarpolitik, 2019, https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/feeding-problem
J. Poore, T. Nemecek, Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers, Science 01 Jun 2018, Vol. 360, Issue 6392, https://science.sciencemag.org/content/360/6392/987
Springmann, M.. Charles, H., Godfray, J., Rayner, M., Scarborough, P., Analysis and valuation of the health and climate change co-benefits of dietary change, PNAS, 2016, https://www.pnas.org/content/pnas/early/2016/03/16/1523119113.full.pdf
Foto Credit: Hartmut Kiewert “Bus Stop”
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