In wenigen Worten
Anton Sutterlüty hat Kunstgeschichte studiert, viele Jahre als Kunstvermittler gearbeitet, geheiratet, Kinder bekommen und 2001 als erster Österreicher die Millionenshow gewonnen. Das gewonnene Geld hat aber nichts daran geändert, dass Sutterlüty jedes Jahr im Sommer auf die Alpe in Vorarlberg geht und Käse herstellt. Reifen lässt er seinen Bergkäse in einem Keller, sechs Meter unter Wiens Straßen. Ein Besuch in seiner geschmacks- und geruchsintensiven Welt.
Anton Sutterlüty öffnet die große Glastür. Ein strenger Geruch strömt ihm entgegen. Die Luft ist feucht und angenehm kühl. Er betritt den dumpf ausgeleuchteten Kellerraum. Vor ihm türmen sich Käselaibe in Holzregalen. Vom hohen Deckengewölbe hängt eine kunstvoll gebogene Lampe aus Neonröhren. Sie taucht das Lager in oranges Licht. „Eigentlich mach’ ich nicht viel. Die Arbeit macht der Käse selbst. Ich begleite ihn nur”, sagt er und streicht über einen der Laibe.
Käse macht Anton Sutterlüty seit er 15 Jahre alt ist. „Inzwischen habe ich ein wenig Erfahrung“, lacht der 56-Jährige. Dann wird sein Blick wieder ernster. Ein dunkelblaues T-Shirt hängt locker über seinen Schultern, ein weißer Bart bettet sein Gesicht ein. Gelernt hat er das Handwerk von seinen Eltern, erzählt er. Diese waren selbst Bauern in Egg im Bregenzerwald und hatten dort im Sommer immer eine Alm gepachtet. Dabei hat Sutterlüty in Wien Kunstgeschichte studiert und anschließend viele Jahre als Kunstvermittler gearbeitet. Käse machte er anfangs nur als Hobby im Sommer. Später brachte er immer öfter Freunden ein paar Stücke nach Wien mit. 2016 machte er sich schließlich mit seinem Käse selbständig.
Getrennt hat er sich von Wien deshalb aber nicht. Im Gegenteil. Nur wenige Meter vom Stephansplatz entfernt findet sich das Herzstück seines Unternehmens – der Käsekeller. Dabei wirkt das Gebäude in der Grünangergasse unscheinbar. Sutterlüty drückt die Holztüre auf und führt in einen kleinen, ruhigen Innenhof, vorbei an einer Messingstatue zu einem Aufzug. „Wir befinden uns hier übrigens im Kipferlhaus. Der Legende nach wurde hier das Kipferl erfunden“, erklärt er nebenbei.
Selbst ist der Käse
Wenige Sekunden später und sechs Meter tiefer eröffnet sich eine neue Welt. Das hohe Ziegelgewölbe erinnert an eine längst vergessene Zeit. Neben Sutterlütys Käsekeller befindet sich hier ein Weinclub. Der 56-Jährige führt vorbei an einer kleinen Bar zu seinem Lager. Eine Glasfront legt den Blick auf die rund 180 Käselaibe frei. Das Licht is gedämpft, die Luft feucht. Das leise Surren der Belüftung durchbricht die Stille.
„Wichtig ist für den Käse eine konstante Temperatur und hohe Luftfeuchtigkeit“, erklärt Sutterlüty und zeigt auf das Thermohydrometer am obersten Regal. Es zeigt 18,5 Grad und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit an. Passt.
Zu den passenden Bedingungen für die Reifung trägt auch dieses Kellergewölbe aus dem 16. Jahrhundert bei.
„Ein Ziegelgewölbe hat den Vorteil, dass der Käse sich hier ein Klima schaffen kann. Die ganze Reifung ist im Grunde ein lebendiger Fermentations-Prozess, bei dem Bakterien eine wichtige Rolle spielen. Ziegel können Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben und so das Raumklima ausgleichen“, sagt Sutterlüty und legt seinen Kopf in den Nacken. Dadurch können sich diese für die Reifung wichtigen Bakterien im Raum festsetzen. “So nimmt der Käse den Keller immer mehr ein”, erzählt Anton.
Am Vormittag hatte Anton seinen Käse bereits „gepflegt“ – also mit einer Salzwasserlake abgebürstet. Dies macht er dreimal pro Woche.
„Die Rinde bildet sich dadurch schöner und der Käse wird vor Schimmel geschützt. Wenn man den Käse alt werden lassen will, ist eine gute Rinde wirklich wichtig“, erklärt er eindringlich. Sutterlüty steckt beide Hände in die Hosentasche und geht weiter in den Raum hinein.
Gebsen statt externe Kulturen
Hier in Wien reifen die Käse allerdings nur. Gemacht werden sie in Vorarlberg. Denn Sutterlüty hat im Bregenzerwald eine kleine Sennerei. Dort macht er im Frühsommer und Herbst seinen Käse. Im Sommer sind zwei Melker und eine Sennerin auf der Alm, die für Anton Käse machen. “Es ist eine irrsinnig körperlich anstrengende Arbeit”, erzählt er. Dazu verwendet er sogenannten Gebsen. Das sind niedrige, dafür sehr weite Holzfässer mit rund einem Meter Durchmesser. „Das Käsemachen beginnt mit dem Melken am Abend. Die Milch wird frisch und noch warm in diese Gebsen gefüllt.“ Das Holz der Gebsen enthält bereits eine große Bakterienvielfalt. Sie sind zum Teil über 100 Jahre alt. In der warmen, ungekühlten Milch können sich die verschiedenen Arten von Milchsäurebakterien vermehren.
Je nach Wetter und Weidegang der Kühe entwickelt sich die Milch über Nacht anders. Dann ist das langjährige Gespür Sutterlütys gefragt. „Ich muss dann auf den jeweiligen Zustand der Milch reagieren.“ Durch diesen Prozess kann Sutterlüty auf Bakterienkulturen aus dem Labor vollständig verzichten. Letztlich besteht sein Käse lediglich aus Milch, Lab und Zeit. „Eigentlich mache ich nichts. Die Arbeit macht der Käse selbst. Meine Aufgabe ist eher das Begleiten dieser Prozesse“, erklärt er.
Der Vorteil von Gebsen-gereifter Milch liegt in der natürlichen Artenvielfalt an Milchsäurebakterien. Sie führt im Laufe des Reifeprozesses zu einem breiten und individuellen Geschmack der einzelnen Laibe. „Je länger der Käse reift, umso mehr kommt diese Vielfalt im Geschmack zum Vorschein.“
Ein junger Bergkäse ist von der Konsistenz weicher und cremiger, hat im Geschmack fruchtige Noten. Mit etwa zwölf Monaten geht er dann ein wenig ins nussige. Ab einem Alter von 18 Monaten beginnt er Kristalle zu bilden, dann verliert er die Schärfe am Gaumen und wird im Geschmack breiter. Sobald er zu kristallisieren beginnt, wird die Rinde auch dunkler. Geht der Käse auf drei Jahre zu, kommt noch eine Umami-Note hinzu. Man merkt auch das Gras, das die Kühe gefressen haben.
Für den Vergleich serviert Sutterlüty drei verschieden alte Käse. Einer ist sechs, einer zwölf und der dritte 24 Monate alt. Während der jüngste der drei – wie prophezeit – sehr cremig und weich ist, kitzelt der zwölf Monate alte „Bruder“ am Gaumen. Der zweijährige Bergkäse präsentiert sich ganz anders. Seine Rinde ist dunkel und der Käse selbst trocken. Optisch erinnert er an Parmesan. „Je älter der Käse, umso trockener wird er“, erklärt Sutterlüty. Geschmacklich ist dieser Käse würziger als die anderen beiden, hat etwas leicht pfeffriges, lässt aber immer wieder einen Geschmack von frischem Gras hindurchscheinen. Kaum zu glauben, dass diese drei Käsestücke auf dem kleinen Holzbrett dieselben sind – nur eben unterschiedlich alt.
1000 Euro für einen Laib
Gefragt sind sowohl die jungen als auch die alten Käse. Am Markt verkaufen sich die jungen Käse besser. Auf Käsefestivals hingegen sind die älteren Laibe gefragt.
Sutterlüty selbst mag den alten Käse am liebsten. Und zwar zum Frühstück mit Brot und selbst gemachter Butter. Meist richtet er sich allerdings einen Teller mit sechs bis sieben verschiedenen Sorten an – manche intensiver, manche weniger intensiv.
In seinem Sortiment hat der 56-Jährige sowohl Alp- als auch Bergkäsen. Der Unterschied ist schnell erklärt. Während Bergkäsen im Winter im Tal gemacht werden, werden Alpkäsen auf der Alp gemacht. „Die Sommerkäse sind cremiger von der Konsistenz und intensiver im Geschmack.“
Aktuell lagern hier tief unter Wien etwa 180 Laibe. Die kleinsten von ihnen wiegen 20, die größten 35 Kilogramm. Das Handwerk und die Zeit haben allerdings auch ihren Preis. Ein sechs Monate alter 35-Kilo-Laib würde theoretisch – im Sonderpreis – etwa 500 Euro kosten. Wäre derselbe Käse drei Jahre alt, koste dieser bereits rund 1000 Euro.
Apropos Geld: Sutterlüty war – kleiner Fakt am Rande – 2001 der erste Österreicher, der die Millionenshow gewonnen hat. Um Käse ging es bei der Millionen-Frage aber nicht. Stattdessen wurde gefragt, wie die griechische Muse der lyrischen Tonkunst hieß. A: Euterpe, B: Musica, C: Lyra oder D: Viola. Sein Kunstgeschichte-Studium war hier nicht sehr hilfreich. Trotzdem tippte er richtig auf Euterpe.
Ein Glücksgriff. Beim Käse braucht er kein Glück. Das kann er. Sein Sortiment erweitern will er aktuell aber nicht. „Wenn man einen Käse richtig gut machen will, muss man sich auf diesen konzentrieren.“ Zudem müsse der Käsekeller für andere Sorten umgebaut werden.
Dabei ist der Keller so, wie er ist, eine Welt für sich. Das wird einem dann bewusst, wenn man ihn wieder verlässt. Sobald der Aufzug wieder im Erdgeschoss angekommen ist, trifft einen die Realität mit voller Wucht. Die Juni-Sonne drückt eine schwielige Hitze auf die Haut, Kinder schreien und in der Luft liegt ein Geruch nach frischen Pferde-Äpfeln. Nur der kräftige Geschmack im Mund erinnert noch an Anton Sutterlüty und seinen Käse.
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